In der Gruppe der hereditären sensiblen Neuropathien ist am häufigsten die hereditäre sensorische Neuropathie Typ 1 (HSN1) vertreten. Seit 1991 sind mindestens 28 Gene und zusätzlich 12 Loci beschrieben, die mit der Charcot-Marie-Tooth-Erkrankung (CMT) und verwandten erblichen Neuropathien assoziiert sind. Die Mehrzahl der CMT-Neuropathie folgt einem autosomal-dominanten Erbgang, weniger häufig sind autosomal-rezessive und X-chromosomal gebundene Erkrankungen. Etwa 50% aller CMT-Erkrankungen sind auf Duplikationen des PMP22-Gens (CMT1A) zurückzuführen, alle anderen Gendefekte sind wesentlich seltener.
Hereditäre Neuropathien sind in der Regel langsam progrediente Erkrankungen mit unterschiedlichem Manifestationsalter (bei der CMT1a in 80 % vor dem 20. Lebensjahr). Patienten mit CMT 1 und CMT 2 zeigen charakteristische distal-symmetrische Muskelatrophien und –paresen an der oberen und unteren Extremität, erloschene Reflexe, Fußdeformitäten und Gangstörungen. In unterschiedlicher Ausprägung sind sensible Defizite vorhanden. Dysästhesien kommen vor. Die hereditäre demyelinisierende Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen (HNPP) ist charakterisiert durch das Auftreten rezidivierender fokaler Paresen (z.B. Fußheberparesen, Handstreckerparesen), die sich häufig ohne Residuum zurückbilden. Es sind auch Verlaufsformen mit distal-symmetrisch verteilten Paresen beschrieben worden. Manche Neuropathien manifestieren sich durch zusätzliche Symptome wie Erblindung, Taubheit, Skoliose, oder andere, was wichtige Hinweise auf den ursächlichen Gendefekt geben kann.
Die spinalen Formen der CMT-Erkrankung unterscheiden sich von der klassischen CMT 1 und CMT 2, da hier bei bei motorischen Defiziten und Muskelatrophien klinisch und elektrophysiologisch keine Beteiligung der sensiblen Nerven vorliegt. Mehrere Subtypen dieser Erkrankung sind bisher molekulargenetisch klassifiziert mit variablen Phänotypen (z.B. Silver-Syndrom mit Paraspastik und Atrophien beginnend distal an der oberen Extremität).
Patienten mit HSN1 zeigen erste Symptome im 2. – 3. Lebensjahrzehnt mit initialen sensiblen Defiziten an den Füssen, gefolgt von distaler Muskelatrophie und –schwäche. Das reduzierte Schmerzempfinden führt zu chronischen Haut-Ulcera und distalen Amputationen.
Für einige hereditäre Neuropathien steht mittlerweile eine kommerzielle molekulargenetische Testung zur Verfügung. Bleibt bei Verdacht auf eine hereditäre Neuropathie die direkte genetische Untersuchung ohne positiven Befund (Mutationsnachweis), kann durch eine Kopplungsanalyse (anhand der DNS möglichst vieler betroffener und nicht betroffener Familienmitglieder) ein Neuropathie-Gen-Locus wahrscheinlich gemacht oder ausgeschlossen werden.
Bei den demyelinsierenden Neuropathien mit dominantem Erbgang empfiehlt es sich, zunächst das PMP22-Gen zu untersuchen (häufigste Ursache der CMT1). Allerdings sollte diese Untersuchung nicht bei rein axonalen Neuropathien (normale Nervenleitgeschwindigkeit) durchgeführt werden. Bei der Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen sollte auf eine Deletion des PMP22-Gens getestet werden. Des weiteren finden sich bei demyelinisierenden Neuropathien häufig Mutationen im MPZ-Gen und im Connexin 32-Gen. Letzteres ist auf dem X-Chromosom kodiert, daher sind weibliche Anlageträger häufig weniger stark betroffen oder sogar asymptomatisch. Bei den rezessiven, demyeliniserenden Neuropathien finden sich in der deutschen Bevölkerung gehäuft Mutationen des KIAA1985-Gens (CMT4C). In bestimmten Ethnien und Bevölkerungsgruppen (beispielsweise den Roma) finden sich seltene, rezessive Neuropathien aufgrund von Founder Mutationen (HMSN-Lom; HMSN-Russe; CMT4C; CCFDN). Unter den dominanten axonalen Neuropathien (CMT2) scheinen Mutationen des Mitofusin-Gens mit einem wesentlichen Prozentsatz vertreten zu sein. Molekulargenetische Studien haben Überlappungen zwischen dHMN und CMT2-Neuropathien gezeigt (z.B. Mutation im Heat-Shock-Protein und im GARS-Gen).
Eine kausale Therapie steht bei den hereditären Neuropathien bis heute nicht zur Verfügung.
Nach langjährigem Krankheitsverlauf kommt es zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit, die stark variieren kann. Bei zunehmenden Paresen ist eine optimale Hilfsmittelversorgung anzustreben: z.B. Fußheber-Orthesen, orthopädische Schuhe, evtl. Knie-Orthesen. Bei eingeschränkter Gehstrecke ist die Ausstattung mit Stock, Rollator und ggf. auch mit einem Rollstuhl für längere Gehstrecken sinnvoll. Bei starker Fußdeformität kann eine operative Korrektur erfolgen. Sind die Hände stark betroffen, gibt es Hilfen zum Schreiben und Essen.
Auch Physiotherapie und, insbesondere bei Paresen der Hände, Ergotherapie sollten bei diesen chronischen Erkrankungen regelmäßig zur Anwendung kommen.
Die potentielle Wirkung einiger Medikamente, eine Neuropathie zu induzieren oder dramatisch zu verschlechtern, sollte bei Patienten mit hereditärer Neuropathie bedacht werden. Hierzu zählen u.a. Adriamycin, Penicillin in hoher Dosierung, Gold, Amiodarone, Phenytoin, Lithium, Colchizin, Vincristin, Misonidazole, Vitamin B6 hochdosiert, Penicillamine, Perhexilene, Hydralazine, Chloramphenicol, Isoniazid, Cisplatin, Taxol, Dapsone, Vitamin A, Nitrofurantoin.
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